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Schein statt Wissenschaft: Wie eine Studie unabhängige Beratung verfälscht
24.03.2025
Eine neue Studie der FH Dortmund untersucht angeblich unabhängige Versicherungsberatung – beleuchtet aber lediglich neue Vertriebsmodelle mit alten Interessenkonflikten. Warum Vermittlungshonorare keine echte Honorarberatung sind – und was das mit wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit zu tun hat.
Wenn Forschung Vertriebsmuster bestätigt
Die Fachhochschule Dortmund hat mit ihrer Studie zum „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“ Aufmerksamkeit erzeugt – allerdings nicht wegen wissenschaftlicher Tiefe, sondern aufgrund methodischer Schwächen und inhaltlicher Verzerrungen. Der Titel der Studie suggeriert eine Analyse echter Honorarberatung. Tatsächlich jedoch untersucht sie lediglich Varianten des Produktvertriebs – ein irreführender Ansatz mit weitreichender Wirkung.
Diese Form der Untersuchung verfehlt das eigentliche Ziel: die unabhängige Beratung im Sinne des Verbraucherschutzes verständlich zu machen und ihren Mehrwert herauszustellen. Verbraucher profitieren beispielsweise von einer ganzheitlichen Analyse ihrer Finanzsituation, klaren Handlungsempfehlungen ohne Verkaufsdruck und transparenten Kostenstrukturen. All das bleibt in der vorliegenden Studie außen vor. Stattdessen wird eine wirtschaftliche Praxis beschrieben, deren Grundlage weiterhin im provisionsgetriebenen Vertrieb liegt – auch wenn dieser unter dem Etikett eines „Honorars“ neu verpackt wird.
Was wurde tatsächlich untersucht?
Die Studie vergleicht zwei Vergütungsmodelle, die in der aktuellen Versicherungsvermittlungspraxis weit verbreitet sind:
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Einen klassischen Bruttotarif mit eingepreister Provision
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Einen Nettotarif mit separat ausgewiesenem Vermittlungshonorar
Beide Varianten setzen einen Produktabschluss voraus. Das sogenannte Honorar ist nichts anderes als eine alternative Form der Vertriebsvergütung. Echte Honorarberatung im Sinne der §§ 34d Abs. 2 oder 34h GewO – also Beratung ohne Verkaufsabsicht – findet nicht statt. Diese entscheidende Trennung wird im Studiendesign vollkommen ignoriert.
Hinzu kommt: Die Untersuchung gleicht eher einem Verkaufsexperiment als einer Analyse von Beratung. Die Probanden werden in eine Entscheidungssituation geführt, in der der Abschluss eines Produkts bereits vorgegeben ist – ein Setting, das dem Charakter einer unabhängigen Beratung nicht gerecht wird.
Vermittlungshonorare: Alte Fehlanreize, neu etikettiert
Die Studie zeigt: Auch bei Nettotarifen bleiben die systemischen Probleme bestehen. Vermittlungshonorare ersetzen lediglich die Provision, nicht aber den Interessenkonflikt. Dieser ist zentral – denn nur wenn die Vergütung des Beraters unabhängig vom Verkauf eines Produkts erfolgt, ist eine objektive Beratung möglich. Wird ein Vertrag storniert, bleibt das Honorar in der Regel bestehen – der Kunde zahlt, obwohl der Versicherungsschutz nicht zum Tragen kommt.
Diese Art der Vergütung ist nicht nur verbraucherunfreundlich, sondern irreführend bezeichnet. Ein Verkäufer, der nur im Fall eines Abschlusses vergütet wird, ist kein Berater – unabhängig davon, ob er Provision oder „Honorar“ erhält.
Ein Praxisbeispiel zeigt die Problematik deutlich: Ein Kunde erhält eine Empfehlung für einen angeblich passenden Nettotarif. Erst im Nachgang erfährt er, dass der Berater für diese Empfehlung ein einmaliges Vermittlungshonorar in Höhe von mehreren Tausend Euro kassiert hat. Der Eindruck objektiver Beratung ist entstanden – in Wirklichkeit handelte es sich um einen Verkauf.
Brancheninteressen im Hintergrund: Wer profitiert?
Auffällig ist: Die in der Studie hervorgehobenen Versicherer sind eng mit dem Studiendesign verbunden – und zugleich zentrale Akteure im provisionsbasierten Vertrieb. Sie treten als Anbieter von Nettotarifen auf, obwohl sie in der Praxis kaum Kontakt zur echten Honorarberatung pflegen. Die Continentale stellt Beratern nach § 34d Abs. 2 GewO ihre Honorartarife nicht zur Verfügung. Die Signal Iduna ist im Honorarberatungsmarkt nahezu bedeutungslos. Der Volkswohl Bund ist mit seinen Nettotarifen für Honorarberater weder interessant noch relevant.
Diese Tatsachen unterstreichen: Die Studie beschreibt nicht unabhängige Beratung, sondern versucht, ein vertrieblich motiviertes Modell mit einem neuen Etikett zu versehen. Wer keine echten Angebote für Honorarberatung macht, sich aber in einer solchen Studie als Vorreiter präsentiert, betreibt in erster Linie PR.
Wissenschaft unter Einfluss: Die Rolle der Versicherer und methodische Zweifel
Die Studie wurde an einer Stiftungsprofessur erstellt, finanziert von Unternehmen wie der Continentale, der Signal Iduna und dem Volkswohl Bund – exakt jenen Versicherern, die auch im Studiensetting eine zentrale Rolle spielen. Unterstützt wurde das Projekt durch das Marktforschungsinstitut Heute & Morgen. Diese institutionelle Nähe wirft Fragen nach der Unabhängigkeit der Studie auf.
Besonders kritisch ist der methodische Aufbau: Anstatt sich an einem sozialwissenschaftlich fundierten Forschungsdesign zu orientieren, folgt die Studie einem vertriebsnahen Szenario. Echte Honorarberatung als eigenständiger Ansatz bleibt außen vor. Diese enge personelle und institutionelle Verflechtung mit der Versicherungswirtschaft stellt die wissenschaftliche Unabhängigkeit infrage – siehe auch Profil FH Dortmund. Die Studie ist abrufbar unter: Studie „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“ (PDF)
Methodische Mängel und inhaltliche Leerstellen
Die Studie lässt zentrale Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten vermissen:
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Es fehlt eine klare Unterscheidung zwischen Vertrieb und Beratung
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Echte Honorarberatung wird systematisch ausgeklammert
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Ein Vergleich mit unabhängigen Beratern findet nicht statt
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Das Design simuliert eine Verkaufssituation mit festem Abschlussziel
Zentrale Fragen bleiben unbeantwortet: Würden Verbraucher für unabhängige Beratung zahlen, wenn sie über ihre Vorteile aufgeklärt würden? Diese Frage wurde gar nicht erst gestellt – womöglich, weil sie das gewünschte Ergebnis gefährdet hätte.
Zudem bleibt unklar, wie die Probanden ausgewählt wurden und ob sie Erfahrungen mit unabhängiger Beratung haben. Ohne diese Informationen bleibt offen, ob die Ergebnisse überhaupt übertragbar oder repräsentativ sind. Die Simulation einer Produktauswahl verzerrt das Bild und lässt keine Rückschlüsse auf Beratung zu.
Wiederholung ohne Erkenntnis: Warum sich nichts ändert
Bereits 2014 und 2016 entstanden ähnliche Studien des selben Autors mit nahezu identischem Aufbau – erneut unter Beteiligung der Versicherungswirtschaft. Die Ergebnisse wiederholen sich: Angeblich wollen Kunden keine Honorarberatung, sondern bevorzugen den provisionsgestützten Vertrieb. Im aktuellen Fall wurde sogar behauptet, Kunden lehnten Honorarberatung in der Rentenversicherung ab – eine absurde Aussage, die mit echter Honorarberatung nichts zu tun hat.
Tatsächlich wurden nie unabhängige Modelle untersucht. Die Wiederholung eines Studienansatzes mit vorhersehbarem Ergebnis erfüllt keine wissenschaftlichen Standards. Sie dient lediglich der Legitimation wirtschaftlicher Interessen – nicht dem Erkenntnisgewinn.
Beratung ist Beratung – und kein Verkauf
Die Branche verwischt systematisch zwei Rollen:
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Verkauf: provisionsbasiert, abschlussgetrieben, interessengeleitet
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Beratung: unabhängig, auftragsbezogen, im Kundeninteresse
Vermittlungshonorare lösen dieses Problem nicht – sie verschleiern es. Deshalb fordern Verbraucherschützer und Honorarberater seit Jahren eine klare Trennung von Beratung und Verkauf. Länder wie Großbritannien und die Niederlande sind diesen Weg gegangen. Deutschland zögert – auch wegen solcher Studien.
Ein sachlicher Diskurs über Beratungsqualität und Vergütung ist überfällig. Er braucht unabhängige Forschung, politische Rahmenbedingungen und klare gesetzliche Begriffsdefinitionen. Nur so lässt sich Vertrauen in Finanzberatung zurückgewinnen.
Fazit: Was bleibt von der Studie?
Die FH-Studie untersucht nicht unabhängige Beratung, sondern testet alternative Vergütungen im Vertrieb. Das ist legitim – aber es ist keine Honorarberatung. Und es ist kein Beweis für fehlende Nachfrage nach echter Unabhängigkeit.
Unsere Bewertung:
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Methodisch und inhaltlich gravierende Mängel
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Vermittlungshonorare sind keine Beratungshonorare
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Nähe zur Branche untergräbt Unabhängigkeit
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Wiederholte Designs ersetzen keinen Erkenntnisgewinn
Unsere Forderungen:
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Klare gesetzliche Trennung von Beratung und Vermittlung
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Verbot provisionsähnlicher Vermittlungshonorare - insbesondere der Honorarvermittlung (Pseudo-Honorarberatung)
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Unabhängige Forschung ohne Brancheneinfluss
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Stärkung echter Honorarberatung im Sinne des Verbraucherschutzes
Beratung verdient Vertrauen – und Vertrauen braucht Klarheit. Schluss mit Studien, die alten Vertrieb in neue Begriffe kleiden. Was wir brauchen, ist Transparenz, Qualität und echte Unabhängigkeit.
Denn Beratung ist Beratung. Und Verkauf ist Verkauf. Punkt.
geschrieben von Dieter Rauch
Dieter Rauch ist Gründer und Geschäftsführer des VDH. Seit 1992 setzt er sich für die echte Honorarberatung ein und gilt als ihr Pionier in Deutschland. Er ist Finanzwirt (bbw), Masterconsultant in Finance (MFC), Fachberater für Finanzdienstleistungen (IHK), Certified Fee Based Financial Advisor (Steinbeis) und Zertifizierter Berater für Indexprodukte (IFH). Die heutigen Möglichkeiten für Honorarberater und deren Mandanten in Deutschland wären ohne seine Pionierarbeit kaum vorstellbar.