Finanzexpertinnen und -experten genießen oft ein hohes Vertrauen, wenn es um die Vorhersage von Marktentwicklungen geht. Ihre Prognosen und Einschätzungen gelten als fundiert und verlässlich. Doch eine umfassende Studie, die von fünf nordamerikanischen Universitäten durchgeführt und im renommierten „Review of Financial Studies“ veröffentlicht wurde, offenbart eine überraschende Wahrheit: Selbst erfahrene Finanzvorstände (CFOs) und Top-Manager unterschätzen systematisch die Schwankungsbreite des Marktes. Diese Fehleinschätzung hat weitreichende Folgen für die Finanzberatung und strategische Entscheidungen.
Die Studie analysierte über 28.400 Prognosen von mehr als 6.700 Managern zur Entwicklung des S&P 500, die in einem Zeitraum von über 20 Jahren gesammelt wurden. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Während die durchschnittliche jährliche Renditeerwartung der Experten bei 5,2 % lag, betrug die tatsächlich realisierte Durchschnittsrendite 6,4 % pro Jahr. Diese Abweichung ist jedoch nicht das Hauptproblem. Viel schwerwiegender ist die Tatsache, dass die Experten die Volatilität des Marktes massiv unterschätzten. Die tatsächliche Trefferquote ihrer Prognosen lag bei nur 29,7 % statt der erwarteten 80 %.
Das zentrale Ergebnis der Studie ist die dramatische Unterschätzung der Schwankungsbreite des Aktienmarktes durch die Finanzvorstände. Die Teilnehmer wurden gebeten, ein 80%-Konfidenzintervall für die Jahresrendite anzugeben. Idealerweise sollten 80 % der tatsächlichen Marktrenditen innerhalb dieser prognostizierten Spanne liegen. Doch in der Realität war dies nur in 29,7 % der Fälle der Fall. Diese Diskrepanz zeigt, dass die Führungskräfte die prognostizierten Renditespannen durchweg viel zu eng wählten. Dieses übermäßige Vertrauen in die eigene Prognosefähigkeit kann gefährliche Konsequenzen haben, da es die Vorbereitung auf Marktturbulenzen oder Ausreißerereignisse erschwert.
Die Studie identifiziert eine tief verankerte kognitive Verzerrung – die Selbstüberschätzung – als Hauptursache für die Fehleinschätzungen der Marktrisiken. Diese Selbstüberschätzung führt dazu, dass selbst erfahrene Finanzführungskräfte die Volatilität des Marktes drastisch unterschätzen. Für die Finanzplanung bedeutet dies, dass Risikomanagementstrategien möglicherweise unzureichend sind und Unternehmen bei unerwarteten Marktentwicklungen anfällig sind. Eine realistische Risikoeinschätzung ist essenziell, um robuste Finanzstrategien zu entwickeln und die finanzielle Stabilität des Unternehmens zu gewährleisten.
Erstaunlicherweise hat sich die Fehleinschätzung der Volatilität über den gesamten Studienzeitraum von mehr als 20 Jahren nicht verringert. Dies deutet darauf hin, dass es keine nennenswerten Lern- oder Erfahrungseffekte gibt. Die Trefferquote war besonders niedrig während außergewöhnlicher Marktphasen wie der Finanzkrise 2008/2009 oder der COVID-19-Pandemie 2020. Diese Erkenntnis unterstreicht, dass selbst signifikante Marktereignisse nicht zu einer Verbesserung der Risikoeinschätzung geführt haben. Stattdessen scheint die Unterschätzung der Volatilität eher eine Persönlichkeits- als eine Wissensfrage zu sein.
Angesichts der hartnäckigen kognitiven Verzerrungen, die in der Studie aufgezeigt wurden, ist es entscheidend, systematische Ansätze zur Verbesserung der Risikoeinschätzung zu entwickeln. Ein einfaches Bewusstsein für diese Verzerrungen reicht nicht aus. Unternehmen sollten auf geeignete Entscheidungshilfetools setzen, die helfen, diese Verzerrungen zu überwinden. Dazu gehören beispielsweise stochastische Modelle, Szenarioanalysen und regelmäßige Schulungen zur Risikobewertung. Durch den Einsatz solcher Instrumente können Finanzführungskräfte eine realistischere Einschätzung der Marktrisiken erreichen und robustere Strategien entwickeln, um den Herausforderungen des Marktes besser gewachsen zu sein.
Insgesamt zeigt die Studie, dass selbst die Finanzelite nicht immun gegen kognitive Verzerrungen ist und dass eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit diesen Mustern notwendig ist, um langfristig erfolgreich zu sein.