Trotz des traditionsreichen Selbstverständnisses als treuhänderischer Sachwalter, das sich durch das BGH-Urteil von 1985 etabliert hat, ist die Position des Versicherungsmaklers von strukturellen Interessenkonflikten geprägt, die sich nicht vollständig auflösen lassen. Während Makler einerseits im Innenverhältnis hohe Sorgfalt und Loyalität gegenüber dem Mandanten schulden, stehen sie im Außenverhältnis vor der Herausforderung, ihre Tätigkeit wirtschaftlich überwiegend durch Courtagezahlungen der Produktgeber zu vergüten. Diese systemische Verknüpfung von Beratung und Vergütung birgt ein inhärentes Spannungsfeld zwischen Mandanteninteresse und Eigeninteresse—ein Spannungsfeld, das auch das Sachwalterurteil letztlich nicht beseitigen konnte. Diese Ambivalenz legt den Grundstein für die zunehmende öffentliche und rechtliche Infragestellung des bisherigen Rollenverständnisses.
Infolge dieser Entwicklungen gerät das bislang geltende Fundament ins Wanken: Eine Serie richtungsweisender Gerichtsurteile hat eine neue Realität geschaffen, in der die traditionelle Berufsbezeichnung in Marketing und Kommunikation nicht mehr tragfähig ist. Die Spielregeln im Umgang mit Mandanten wurden unumkehrbar neu definiert – mit erheblichen Konsequenzen für das Herzstück Ihres Geschäftsmodells.
Im Zentrum dieser Analyse steht der fundamentale Zielkonflikt zwischen der juristisch verankerten Sachwalterstellung und der oftmals werblich genutzten Selbstbeschreibung—ein Widerspruch, der durch aktuelle Urteile schonungslos offengelegt wurde. Welche konkreten Auswirkungen ergeben sich daraus für Ihren Beratungsalltag, und warum markieren diese Entscheidungen einen Wendepunkt, der von allen Marktteilnehmern eine konsequente Positionierung verlangt?
Die neue Rechtsprechung hat Fakten geschaffen, die etablierte Sichtweisen grundlegend in Frage stellen. Im Folgenden werden die vier wichtigsten und wegweisendsten Konsequenzen zusammengefasst, die jeder Vermittler jetzt kennen und in seine unternehmerischen Entscheidungen einbeziehen muss.
Das BGH-Sachwalterurteil von 1985 definiert weiterhin unvermindert die hohen Sorgfalts- und Haftungsstandards, die Sie im Innenverhältnis zu Ihren Mandanten erfüllen müssen – daran besteht keinerlei Zweifel. Im Außenverhältnis jedoch – insbesondere in der Kommunikation und Außendarstellung – hat dieses vormals als Qualitätssiegel geltende Urteil seine Schutzwirkung durch aktuelle rechtliche Entwicklungen eingebüßt.
Die aktuellen Urteile des OLG Köln (07.02.2024, Az. 6 U 103/23) und des OLG Dresden (28.10.2024, Az. 14 U 1740/24) markieren einen Paradigmenwechsel im juristischen Verständnis von Unabhängigkeit. Entscheidend ist nunmehr ausschließlich, ob die zentrale Verbrauchererwartung an den Begriff „unabhängig“ erfüllt wird – unabhängig davon, ob die Sachwalterpflichten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt sind. Die Gerichte stellen klar: Die Vergütung in Form von Courtagen steht im Widerspruch zu dieser Erwartung und beeinträchtigt deren Wahrnehmung. Damit wird die Bewertung des Unabhängigkeitsbegriffs vollständig aus dem Vertragsrecht (§ 59 VVG) in das Werberecht (§ 5 UWG) verlagert.
Die Gerichte stellen dabei ausdrücklich nicht die Qualität Ihrer Beratung oder die Erfüllung Ihrer treuhänderischen Pflichten infrage. Vielmehr argumentieren sie, dass bereits die wirtschaftliche Verflechtung durch Courtagen ein unüberwindbares Hindernis für eine werbliche Nutzung des Begriffs „unabhängig“ darstellt.
Im Mittelpunkt der richterlichen Argumentation steht die Feststellung, dass schon die theoretische Möglichkeit unterschiedlich hoher Courtagen ein potenzielles Eigeninteresse des Maklers begründen könnte. Diese abstrakte Gefahr eines Interessenkonflikts reicht aus, um die Verwendung des Begriffs „unabhängig“ in der Werbung als irreführend zu bewerten – es bedarf keines konkreten Nachweises eines Fehlverhaltens. Maßgeblich ist allein die aus Verbrauchersicht bestehende Möglichkeit eines Interessensgegensatzes.
Die juristische Definition einer tatsächlich werbefähigen Unabhängigkeit ist daher äußerst restriktiv gefasst: Echte Unabhängigkeit im Sinne des Wettbewerbsrechts liegt ausschließlich vor, wenn keinerlei finanzielle Verflechtungen mit Produktgebern bestehen. Allein die vollständige ökonomische Neutralität – wie sie gesetzlich ausschließlich für den Honorarberater vorgesehen ist – stellt den maßgeblichen Prüfmaßstab dar.
Mit dem Versicherungsberater (§ 34d Abs. 2 GewO) und dem Honorar-Finanzanlagenberater (§ 34h GewO) hat der Gesetzgeber eindeutige Gegenmodelle geschaffen. Diese Berufsgruppen unterliegen einem strikten Provisionsannahmeverbot und bilden für die Gerichte damit den einzigen rechtlichen Referenzpunkt und Goldstandard im Hinblick auf den Begriff der Unabhängigkeit.
Für zahlreiche Berater, die einen Wechsel in das Honorarmodell erwägen, ist die folgende Information von grundlegender und existenzieller Bedeutung: Honorarberater gemäß § 34h oder § 34d Abs. 2 GewO dürfen unter keinen Umständen an provisionsbasierte Strukturen wie Maklerpools (§ 34f bzw. § 34d Abs. 1 GewO) angebunden sein.
Diese strikte Trennung ist keine bloße Empfehlung, sondern zwingendes Recht, wie führende Autoritäten unmissverständlich klarstellen:
Verstöße gegen diese Vorgaben haben gravierende Folgen: Sie reichen von Bußgeldern bis zu 50.000 Euro, dem Entzug der Erlaubnis bis hin zur vollständigen Rückforderung bereits vereinnahmter Honorare. Seit Beginn der aktuellen Diskussion im Sommer dieses Jahres wurden bereits drei Verfahren von den Industrie- und Handelskammern eingeleitet.
Die Summe dieser Urteile führt zu einer klaren und unumgänglichen Konsequenz: Sie stehen an einem strategischen Scheideweg. Wie der VDH ausführt, gibt es nur noch zwei klare und rechtssichere Wege für die Zukunft:
Die folgende Tabelle fasst die neue juristische Realität gemäß den OLG-Urteilen zusammen und erklärt die Hintergründe:
|
Vermittlertyp |
Zentrale Vergütungsform |
Gesetzliche Stellung |
Werbung mit "Unabhängig" zulässig? (UWG-Standard) |
|
Versicherungsmakler (§ 34d Abs. 1 GewO) |
Courtage/Provision vom VU |
Treuhänderischer Sachwalter (§ 59 Abs. 3 VVG) |
Nein (Wirtschaftliche Verflechtung durch Courtage) |
|
Finanzanlagenvermittler (§ 34f GewO) |
Provision vom Produktgeber |
Vermittler nach IDD/WpHG |
Nein (Wirtschaftliche Verflechtung durch Provision) |
|
Versicherungsberater (§ 34d Abs. 2 GewO) |
Ausschließlich Honorar vom Kunden |
Provisionsfreier Berater (§ 59 Abs. 4 VVG) |
Ja (Gesetzlich definierte ökonomische Neutralität) |
|
Honorar-Finanzanlagenberater (§ 34h GewO) |
Ausschließlich Honorar vom Kunden |
Provisionsfreier Berater |
Ja (Gesetzlich definierte ökonomische Neutralität) |
Für alle Berater, deren Glaubwürdigkeit und Markenversprechen auf dem Attribut der Unabhängigkeit beruhen, ist der konsequente Wechsel zum reinen Honorarmodell – ohne jegliche Anbindung an Provisionspools – der einzig zukunftssichere Weg.
Die aktuelle Rechtslage zieht eine klare und verbindliche Grenze zwischen provisionsbasierter Vermittlung und tatsächlich werbenutzbarer Unabhängigkeit. Die traditionellen Pflichten des Maklers bleiben zwar unberührt, jedoch ist das entscheidende Merkmal zur werblichen Positionierung verloren gegangen. Die Rechtsprechung hat die Definition der Unabhängigkeit im Interesse des Verbraucherschutzes neu ausgerichtet und damit verbindlich festgelegt.
Die entscheidende Fragestellung lautet daher nicht länger, welche gesetzlichen Pflichten Sie zu erfüllen haben, sondern welches Geschäftsmodell Ihr eigenes Vertrauensversprechen gegenüber dem Kunden künftig glaubwürdig untermauert.
Für welchen Weg entscheiden Sie sich?
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